REVIEW

Disco De Luxe

 

PC & Musik, Juni 2002 

http://www.pc-und-musik.de

 

 

"Ja, Sie vermuten richtig - ich bin begeistert. Und das kommt wahrhaftig nicht all zu oft vor."

 

 

Material: Wohl kaum ein Begriff in der Musikgeschichte polarisiert so dermaßen wie "Disco". Vom selbsternannten Musikfreund und -kenner mitleidig belächelt und als grober Unfug abgetan, dessen Hummta-Rhythmen in seinen Augen nahe an Körperverletzung reichen, gilt sie bei notorischen Wochenendzapplern als Quell immerwährender Freude und als höchste Form abenländischen kompositorischen Schaffens. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich - wie so oft im Leben - irgendwo in der goldenen Mitte. Nicht zu leugnen ist aber wohl, dass die Produktion einer wirklich guten Disco-Nummer mindestens genauso viel kreative Schaffenskraft braucht wie bei jedem anderen Musikstil auch. Hat man diese Tatsache erst einmal verinnerlicht (und die Vision eines weiß-befrackten Travoltas in Eintänzer-Pose aus seinem Kopf verbannt), können wir uns endlich ganz unvoreingenommen diesem epochalen Werk aus der Ueberschall-Schmiede widmen. Epochal erst einmal nur deshalb, weil es unleugbar ein Verdienst ist, die erste echte Disco-Sampling-CD auf den Markt zu bringen. Und damit der Sample-Generation zu zeigen, dass jenseits des nebligen Techno-Hip-Hop-Nu-RnB-Sumpfes verschollene Länder auf ihre erneute Entdeckung warten. Guter Discosound hat immer eine fette Prise Funk und Soul. Der Bassist springt wild oktavierend über die Saiten, der Gitarrist schrammelt sich die Finger wund, der Bläserersatz (alle natürlich in weißen Anzügen und einem Haarschnitt, der definitiv nicht zum fortgeschrittenen Alter der drei Herren passt) knallt rein, nur der Schlagzeuger trommelt stur seinen Vierer runter - man will ja schließlich die Fischfeinkost-Verkäuferin auf der grellbeleuchteten Tanzfläche rhythmisch nicht verunsichern. Dem Keyboarder kommt außer einem Rhodes und einem Hohner D6 nichts unter die Finger, während sich die Streicher unisono juchzend in den Abgrund stürzen. Und genau das alles bringt die Scheibe von Ueberschall. Wir starten mit acht Baukästen zum Warmlaufen und Vorglühen des Original Disco-Feelings, um uns dann auf die einzelnen Instrumente zu stürzen. Die Baukästen tuckern im tanzbaren Bereich zwischen 100 und 120 bpm und glänzen mit einer Länge von satten 32 Takten. Nach dem kompletten Mix gibt es das Drum-Arrangement, anschließnd die Backings komplett, dann endlich die Einzelsounds, getrennt nach Instrumental und Drums. Wei bei jeder Bastelstube liegt der kreative Brennwert hier eher noch im überschaubaren Bereich, auch wenn man hier schon ganz ordentlich schrauben kann. Die Kreativrakete zünden wir dann im zweiten Teil. Drums und Percussionloops machen den Anfang, es folgen Gitarrenlicks der Marke "extrafunk", gefolgt von der Abteilung Brass aus dem Kombinat "Volle Lunge", die ganz schwer an die besten Zeiten von Earth, Wind & Fire und Chicago (und zwar vor dem unsäglichen "Its hard to say I ?m sorry" erinnern. Die Vorgruppe für die Strings, die herrlich synthetisch (Solina String Ensemble?) Akkorde und Läufe zum Besten geben, macht ein Flötist im Stile von Ian Anderson (genau - der notorisch Einbeinige von Jethro Tull). Dann endlich darf auch der Bassist beweisen, was er drauf hat, gefolgt von den obligatorischen Vocals. Turn on, I wanna get high tonite, hey DJ, do it again... Was man doch mit wenigen Worten alles sagen kann.! Give your love. Yeah. Reichlich unterbesetzt ist die Tastenfraktion. Ein paar Einzeltöne alter Synthies und deren neuen von Rhodes und D6 - das nehme ich Euch übel, Ueberschaller. Was soll ?s, dann spielen wir den Kram eben selber ein. Dafür hätte man gerne die Unmenge an Drum-Einzelsounds etwas kastrieren dürfen, die finden wir auch auf anderen Sampling-CDs in Hülle und Fülle. Wie dem auch sei - die Einzelsounds, Licks und Fragmente sind alle brauchbar, weil mein Flehen und Nörgeln anscheinend wohl doch auf ein offenes Ohr gestoßen ist und endlich endlich endlich alles in einem einheitlichen Tempo vorliegt. Das versöhnt und gibt mir den Glauben an das Rationale in der Musikproduktion zurück. Ach ja - CD1 liefert die Audio-, CD2 die WAV-Sounds. Der Vollständigkeit halber. 

 

Booklet: Auch hier wurde mein Flehen erhört: Tonart, Samplelänge, bpm, und das alles auch noch lesbar. Na gut, bei manchen Namen ging dann die Katalogisierungswut doch ein wenig weit, Namen wie "flt120discoflute2-CD#FG ?muss man mehrmals lesen, machen aber Ende mehr Sinn als irgendwelche blumigen Fantasiebezeichnungen. 

 

Fazit: Ein Standardwerk. DAS Standardwerk. Ok, das mag daran liegen, dass ich als Mitglied der etwas reiferen Generation (freundliche Umschreibung für "alter Sack) mit der Discobewegung mehr anfangen kann als der musikalische Nachwuchs, auch wenn ich selber nie aktives bekennendes Mitglied der Bee-Gee-Sekte war. Aber selbst wenn man noch nie etwas mit Disco zu tun hatte - diese Scheibe verordnet Dr. Beat bei jedweder Form von kreativer Verstopfung. Ja, Sie vermuten richtig - ich bin begeistert. Und das kommt wahrhaftig nicht all zu oft vor.

Cover